Gedenken an die Opfer, Überlebenden und Helden
Am Abend des 02.08.2014 begannen die Terroristen des sog. „Islamischen Staates“ (IS) ihren Angriff auf das überwiegend von Êzîden bewohnte Gebiet Sinjar (Shingal) im Nordirak.
Der Vormarsch der Horden des IS schritt rasant voran und dort, wo sie auf Êzîden trafen, gingen sie mit einer Brutalität vor, die man sich als Mensch nicht vorstellen kann und will. Seitdem beobachten wir einen fortwährenden Genozid an den Êzîden.
Wir gehen nach Zahlen der Vereinten Nationen davon aus, dass bis heute über 5.000 Êzîden getötet wurden. Es befinden sich immer noch über 2.800 Frauen, Mädchen und andere Kinder in der Hand des IS. Frauen, Männer und Kinder wurden lebendig begraben, Kinderleichen wurden an Häuserwände aufgehängt und Menschen wurden lebendig gekreuzigt. Mindestens 3.500 Frauen und Mädchen wurden in die Sklaverei verschleppt, wo sie den entsetzlichsten sexuellen und körperlichen Misshandlungen ausgesetzt waren und sind. Kleine Jungen und männliche Heranwachsende wurden zwangsislamisiert, einer Gehirnwäsche unterzogen und gezwungen, gegen ihr eigenes Volk zu kämpfen. Sie werden als Selbstmordattentäter missbraucht.
Über 500.000 Êzîden sind seit dem Beginn des Genozids in Shingal auf der Flucht. Über Hunderttausend sind nach Europa, Australien oder in die USA geflohen. Der Rest befindet sich in notdürftig errichteten Flüchtlingslagern in Kurdistan, in der Türkei und in Syrien, vereinzelt befinden sich Êzîden noch in Shingal.
Tausende Êzîden leisteten ab dem 02.08.2014 erbitterten Widerstand gegen den IS, obwohl sie kaum wehrfähige Waffen besaßen. Sie kämpften tagelang gegen einen übermächtigen Gegner, bis ihnen eine Allianz von Amerikanern und Europäern mit Luftangriffen und kurdische Kämpfer der Volksverteidigungseinheiten aus Syrien am Boden zur Hilfe eilten. Weder Streitkräfte der kurdischen Regionalregierung im Nordirak (Peschmerga) noch die der irakischen Zentralregierung waren präsent, die Peschmerga wurden zuvor sogar abgezogen.
Mit schwerem Herzen und düsterem Gemüt gedenken wir der Opfer, Überlebenden und Helden des Shingal-Genozids und erweisen ihnen unseren Respekt. Es ist nicht möglich, die Verbrechen und Schrecken vollends zu erfassen, die die IS-Terroristen und ihre Hintermänner unschuldigen Menschen zugefügt haben.
Mit dem heutigen Tag wollen wir aber nicht unser Entsetzen konservieren. Wir wollen, dass den Opfern Genugtuung widerfährt, indem der Genozid international untersucht und aufgearbeitet wird und alle Beteiligten, Kämpfer wie auch ihre Hintermänner, strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden. Nationale wie internationale Gerichte müssen umgehend aktiv werden, um die Verbrechen gegen die Êzîden zu ahnden.
Die Bundesrepublik Deutschland hat schon in den ersten Wochen nach dem Beginn des Genozids Waffen an die kurdischen Streitkräfte im Nordirak geliefert, um die Êzîden wirksam zu schützen. Dies fand damals auch unsere Zustimmung, weil wir damit die Hoffnung verbanden, dass jene
Waffen auch an die êzîdischen Kämpfer weiter gegeben würden, der IS militärisch schnell besiegt werden würde und die Êzîden dann rasch in ihre Heimat zurückkehren könnten. Der IS ist zwar militärisch im Nordirak weitgehend geschlagen, aber die Flüchtlinge können immer noch nicht in
ihrer Heimat zurückkehren, weil die politischen Akteure vor Ort dies nicht wollen.
Wir appellieren insbesondere an die Bundesrepublik Deutschland, ihre weitere Unterstützung für die Region davon abhängig zu machen, dass die Êzîden und andere Minderheiten eine politische und wirtschaftliche Perspektive im Irak erhalten. Konkret heißt das: Êzîden benötigen im Irak
einen internationalen Schutz. Es muss ihnen ermöglicht werden, sich selbst zu verwalten und vor allem sich selbst zu verteidigen.
Ferner bitten wir die Bundesrepublik Deutschland und die Bundesländer darum, die schwer traumatisierten êzîdischen Frauen und Mädchen, zumindest vorübergehend aufzunehmen und hier therapieren zu lassen. Eine angemessene medizinische Versorgung im Irak ist schlichtweg nicht
vorhanden.
Wir fordern die irakische und die kurdische Regionalregierung dazu auf, die Schuldigen in ihren Reihen zu benennen und deren Beitrag, der den Genozid in diesem Ausmaß erst ermöglicht hat, aufzuarbeiten. Insbesondere fordern wir die irakische Regierung dazu auf, den Völkermord anzuerkennen und der Errichtung eines Sondertribunals zuzustimmen oder den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag einzuschalten. Ferner betrachten wir es als Selbstverständlichkeit,
dass die irakische Zentralregierung möglichst rasch einen Sonderfonds für die Opfer des Genozids einrichtet.